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gepostet von Julia am 20. September 2022
Kurzgeschichten
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»Guten Morgen, es ist 6:30 Uhr. Zeit aufzustehen.«, begrüßt mich die vertraute Stimme. Das Radio fängt an zu spielen, erst leise, dann immer lauter.
»Alexa, schalt den Alarm aus.«, sage ich noch im Halbschlaf.
Alexa schaltet ihn aus. Ich greife nach meinem Handy und scrolle durch meinen Twitter-Feed, um zu sehen, was es Neues gibt. Ein paar Nachrichten like ich, dann wird es Zeit, aufzustehen.
Nach einer schnellen Dusche und einer Tasse Kaffee fühle ich mich halbwegs zurechnungsfähig. Vorsichtshalber nehme ich eine zweite Tasse mit ins Arbeitszimmer und fahre den Rechner hoch. Sieben neue E-Mails plus die zwei vom gestrigen Tag. Das fängt ja gut an! Ich wünsche meinen Kollegen im Teams-Chat einen guten Morgen und mache mich ans Werk.
Ich habe etwa die Hälfte der E-Mails bearbeitet, als ein Teams-Anruf reinkommt. Es ist meine Kollegin Sabine, die wissen möchte, wie weit die Präsentation ist. „Fast fertig.“, versichere ich ihr und verspreche, sie ihr gegen Mittag zu schicken.
»Danke Mark, du bist der Beste.«, sagt sie erfreut und legt auf.
Sabine und ich arbeiten nun schon seit über einem Jahr zusammen, aber wir haben uns erst fünfmal persönlich getroffen. Trotzdem habe ich das Gefühl, sie schon ewig zu kennen. Ich habe Fotos von ihrem letzten Urlaub auf Facebook gesehen und sie hatte mir sogar per WhatsApp zum Geburtstag gratuliert.

Mittagspause. Die Präsentation ist immer noch nicht raus, aber ich schiebe mir erst einmal eine Tiefkühlpizza in den Ofen. Während ich darauf warte, dass sie fertig wird, scrolle ich noch eine Runde durch meinen Twitter-Feed. Nichts Neues.
Eine Pizza später sitze ich wieder vor dem Bildschirm. Eine weitere halbe Stunde später ist die Präsentation fertig und ich schicke sie Sabine, was diese mit einem Daumen nach oben im Teams-Chat kommentiert.
Danach habe ich noch ein lästiges Meeting, wieder per Teams. Das Highlight ist die Katze, die der Kollegin vom Einkauf auf den Schoß hüpft. Vor Homeoffice hatte ich nicht einmal gewusst, dass sie eine Katze hat. Ich überlege, ob ich mir auch ein Tier anschaffen sollte. Ein wenig Leben in der Bude wäre schon schön, aber was ist dann im Urlaub? Was, wenn ich auf eine längere Arbeitsreise geschickt werde? Das ist zwar noch nie vorgekommen, aber man muss ja flexibel bleiben.

Nach der Arbeit gehe ich zum Supermarkt um die Ecke. Den Blick auf die Einkaufsliste auf meinem Handy gerichtet suche ich meine Einkäufe zusammen. Die Menschen um mich herum nehme ich kaum wahr, aber ich weiß, dass auch ihre Blicke an ihren Handybildschirmen kleben. Ein Typ in meinem Alter telefoniert lautstark neben mir. Offenbar beschwert sich seine Liebste, weil er noch nicht auf eine WhatsApp-Nachricht geantwortet hat. Dinge, die ich nie wissen wollte…
Ich bin fast ein bisschen erleichtert, als ich die Artikel an der Bezahlstation einscanne, bezahle und mich wieder auf den Heimweg mache.

Daheim mache ich mir Abendessen und setze mich mit dem vollen Teller auf das Sofa.
»Alexa, spiel Constantine ab!« Den Film kenne ich zwar in- und auswendig, aber er ist genau das, was ich im Moment brauche. Nebenbei beantworte ich noch schnell die eine oder andere private Nachricht von Twitter-Followern und Facebook-Freunden.
Plötzlich bekomme ich eine Push-Nachricht, dass SueLee ein neues Bild bei OnlyFans gepostet hat. Schnell öffne ich die App, um es zu sehen.
»Sexy wie immer.«, kommentiere ich.
Danach ist SueLee noch eine Weile im Chat aktiv und wir schreiben hin und her. Ich erzähle von meinem Tag und der Sache mit der Katze. Ich weiß nicht einmal, ob ich mit einer echten Person oder einem Bot schreibe, aber irgendwie macht das auch keinen Unterschied, solange jemand da ist, der zuhört, oder? Wobei, bei 50,- € im Monat sollte es schon eine echte Person sein.
»Alexa, glaubst du, dass SueLee ein Bot ist?«
»Unter einem Bot versteht man ein Computerprogramm, das…«
»Ja, ja, ich weiß, was ein Bot ist.«, unterbreche ich sie und seufze. Vielleicht sollte ich doch lieber wieder Tinder installieren, überlege ich. »Alexa, was hältst du von Tinder?«
»Bei Tinder handelt es sich um eine Plattform, die…«
»Ja verdammt, Alexa! Das weiß ich doch!«
»Das habe ich leider nicht verstanden.«
»Ach Alexa, halt doch einfach die Klappe!«

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